Judith Skudelny

Newsletter Juli 2020

Liebe Leserinnen und Leser,

man vergisst es in der aktuellen Corona-Ausnahmesituation ja leicht, aber auch vor dem Lockdown war unser Land auf bestem Weg in eine Wirtschaftskrise. Schon im vergangenen Sommer hatte die FDP-Bundestagsfraktion daher ein Sofortprogramm gegen die abflauende Konjunktur gefordert. Wer jetzt von der Rückkehr in Prä-Corona-Zeiten fabuliert, verkennt die Realität. Die Corona-Krise darf nicht dazu führen, dass wichtige politische Projekte in Vergessenheit geraten oder gar im Sande verlaufen.

Den vorliegenden Newsletter nutze ich daher, mal genauer hinzuschauen, was aus so mancher großen Ankündigung der Großen Koalition tatsächlich geworden ist:

Solidaritätszuschlag und Gründerkapital: Versprochen – gebrochen!

Als FDP-Mitglied wissen Sie es selbstverständlich: Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags war für uns im Bundestagswahlkampf 2017 und den anschließenden Jamaika-Sondierungen ein zentraler Punkt. Der Soli ist keine Steuer wie jede andere. Er war als Ausnahmeinstrument gedacht und wurde für die besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung eingeführt. Wir Freie Demokraten haben immer betont, dass mit Auslaufen des Solidarpakts II auch die Legitimität des Solidaritätszuschlaggesetzes fällt. Seit 2020 ist der Soli eine verfassungswidrige Strafsteuer. Dagegen werden wir klagen.

Wir sind die einzige Partei, die sich stets zur vollständigen Abschaffung bekannt hat. Andere sind da wankelmütiger - besonders die Union. Gemeinsam mit der SPD hat sie beschlossen, den Soli eben nicht für alle abzuschaffen. Sparer sowie kleine und mittlere Familienbetriebe müssen ihn trotzdem weiterbezahlen, weil der Zuschlag auf die Kapitalertragsteuer und die Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften weiterhin erhoben wird. Das können wir uns angesichts der wirtschaftlichen Lage nicht leisten! Manchmal versteht das die Union sogar. Erst im Mai hat sie zum wiederholten Male angekündigt, den Soli vielleicht doch ganz zu streichen. Liebe CDU/CSU: Man muss es nicht nur wollen. Man muss es auch tun.

Die deutsche Startup-Szene moniert seit langem einen Mangel an Wagniskapital. Das gilt insbesondere in der Wachstumsphase. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat schon seit 2018 wiederholt einen Zukunftsfonds Deutschland zur Startup-Förderung angekündigt. Ein Dachfonds soll in verschiedene Venture-Capital-Töpfe investieren, die dann Geld für junge Wachstumsunternehmen bereitstellen. In der Halbzeit-Bilanz der Großen Koalition wurde dieses Vorhaben im November 2019 nochmalig erneuert. Allen Beteuerungen zum Trotz ist ein solcher Gründerfonds bis heute nicht abzusehen.  

Wasserstoffstrategie und Kohleausstieg

Wollen wir Klimaschutz mit der Sicherung unseres Industriestandortes verbinden, ist Wasserstoff ideal. Regenerativ hergestellter Wasserstoff ist die Grundlage für synthetische Kraftstoffe, mit denen wir die Verbrennungstechnologie auch in Zukunft klimaneutral nutzen können. Das sichert Millionen von Arbeitsplätzen in der Automobil- und Zuliefererindustrie. Bereits 2019 wollte die Koalition eine Nationale Wasserstoffstrategie vorlegen. Im Juni 2020 war es dann so weit. Angesichts der enormen Bedeutung des Wasserstoffs ist es unverantwortlich, wie lange die Bundesregierung dafür gebraucht hat. Nach Ansicht der FDP taugt die Strategie der Bundesregierung auch nicht, um die Wasserstoffwirtschaft voranzutreiben: dass etwa Pkws ausgenommen werden, ist paradox. Mehr noch: ein Unding. Die Diskriminierung des Wasserstoffs und der synthetischen Kraftstoffe muss ein Ende haben. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert daher, dass Deutschland während seiner EU-Ratspräsidentschaft die Idee der Gründung einer Europäischen Wasserstoffunion vorantreibt. Es könnte das belebende Element der europäischen Zusammenarbeit in den 2020er Jahren sein, vergleichbar mit den beiden anderen großen europäischen Energieprojekten, der Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGKS oder der Atomgemeinschaft Euratom.

Anfang des Monats hat die Große Koalition das Kohleausstiegsgesetz beschlossen. Bis 2038 schrittweise alle Kohlekraftwerke in Deutschland abzuschalten, ohne sicher zu wissen, wo künftig der Strom herkommen soll, ist verantwortungslos! Und den Steuerzahler das auch noch teuer bezahlen zu lassen, erst recht: Energiekonzerne werden entschädigt, der Ausbau von erneuerbaren Energien und Gaskraftwerken wird subventioniert. Dabei ist das Gesetz gar nicht nötig. Der Kohleausstieg hat durch den europäischen Emissionshandel längst begonnen. Die Bundesregierung hat einmal mehr nationale Planwirtschaft einem europäischen, marktwirtschaftlichen Instrument vorgezogen. Besser als mit diesem vermurksten Gesetz kann man die Regulierungswut der Großen Koalition nicht auf den Punkt bringen.

Wohnen und Kinderbetreuung

Mittlerweile dürfte sich überall herumgesprochen haben, dass die Mietpreisbremse großen Schaden anrichtet. Uns fehlen 1,9 Millionen Wohnungen in Deutschland. Dabei geht es um ein Investitionsvolumen von 300 Milliarden Euro. Woher soll das Geld kommen, wenn nicht von privaten Investoren? Es wird aber niemand in Wohnraum investieren, wenn er sich nicht rechnet oder Enteignung droht. Die Mietpreisbremse ist eine Wohnraumbremse. Leider ist diese traurige Erkenntnis bis heute nicht bei der Großen Koalition angekommen. Sie hat im April 2020 die Mietpreisbremse sogar noch verschärft! Wenn sich Vermieter aus dem Markt zurückziehen, verknappt das Wohnungsangebot, die Mieten steigen weiter.

Da kann man fast froh sein, dass die Regierung bei der Reform des Wohneigentumsrechts nicht zu Potte kommt. Der Gesetzesentwurf der GroKo hätte eigentlich im Juni 2020 verabschiedet werden sollen. Weil sich die Koalition über die Ausgestaltung noch streitet, wurde sie kurzerhand auf nach der Sommerpause verschoben. Ich hoffe sehr, dass die GroKo die Zeit für dringend notwendige Überarbeitungen nutzt. Der vorliegende Entwurf schafft in erster Linie Rechtsunsicherheit und verhindert wichtige Modernisierungen. So will die GroKo Verwaltern ermöglichen, losgelöst von Eigentümerbeschlüssen zu arbeiten. Und das so unbestimmt, dass es als Kompetenzregelung für den Alltag völlig untauglich ist. Die Folge: endlose Rechtsstreitereien. Die GroKo will außerdem die einfache Mehrheit als Abstimmungsquorum zwischen den Eigentümern einführen, wenn es um bauliche Maßnahmen geht. Richtig ist, die bestehenden Regelungen zu vereinfachen. Diese Regelung birgt jedoch die Gefahr, dass eine gut organisierte Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufdrückt. Wir wollen, dass die Mehrheit der Stimmen mindestens zugleich die Mehrheit der Eigentumsanteile darstellen muss. Die GroKo darf diese Ideen gerne übernehmen.

Flexible Angebote zur Kinderbetreuung sind ein wichtiger Baustein dafür, dass Eltern frei entscheiden können, welches Arbeitsmodell sie wählen. Väter und Mütter können ihrem Beruf nur dann nachgehen, wenn sie wissen, dass ihre Kinder gut betreut werden. Ab 2025 will die Bundesregierung einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung einführen. Dafür hat das Bundeskabinett im November 2019 beschlossen, ein Sondervermögen von zwei Milliarden Euro einzurichten, mit dem der Ausbau der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern finanziert werden soll. Leider war es das dann. Bis heute ist ungeklärt, woher die rund 100 000 neuen Erzieher kommen sollen oder wie die Finanzierung der Ganztagsbetreuung sichergestellt wird, sobald die zwei Milliarden Euro aufgebraucht sind. Von den notwendigen Neu- oder Ausbauten ganz zu schweigen. Mehrere FDP-Minister in den Bundesländern haben klar gemacht, dass der Bund sich auch dauerhaft finanziell an der Regelung beteiligen muss, wenn er den Ländern schon verpflichtende Vorgaben macht. Antworten der Bundesregierung? Fehlanzeige!

Ankündigungsministerin Julia Klöckner

Wenn es um große Ankündigungen, aber wenig Taten geht, spielt Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Julia Klöckner ganz vorne mit. So legt der Koalitionsvertrag die Einführung eines Tierwohllabels fest. Das sieht auch die Ministerin als eines ihrer Prestigeprojekte. Ein Konzept hat sie zwar im Februar 2019 vorgestellt, die angekündigte Einführung zur Mitte der Legislatur aber nicht eingehalten. Der Streit innerhalb der Koalition über die Ausgestaltung ist so groß, dass das Label in dieser Legislaturperiode dem Vernehmen nach überhaupt nicht mehr kommt. Bei anderen Themen steht sie nicht besser da. Aus der angekündigten Nährwertkennzeichnungstabelle wurde der freiwillige Nutri-Score. Ob dieser einen Beitrag zur ausgewogenen Ernährung leisten kann, ist zu bezweifeln. Angekündigt hat die Ministerin den Nutri-Score übrigens für Sommer 2020. Das wäre – jetzt. Was das Verbot der Tötung von Eintagsküken angeht, hat sie eine Regelung bis Ende 2021 in Aussicht gestellt. Es ist unbegreiflich, warum eine zügige europäische Regelung, die das Schreddern verbietet, nicht schneller auf den Weg gebracht wird.

Und dann ist da noch die Bauernmilliarde. Im Januar hatte sich die Koalition darauf verständigt, die Landwirtschaft mit einer Milliarde Euro zu unterstützen. Wie das genau aussehen soll, bleibt aber unklar. Anstatt endlich für verlässliche Rahmenbedingungen und faire Behandlung der Landwirte zu sorgen, verplempert die GroKo wichtige Zeit mit einem Schweigegeld für die Bauern. Bei denen treffen die Pläne allerdings auf Widerstand. Die Landwirte haben das Gefühl, dass die Bundesregierung über ihre berufliche Existenz entscheidet, ohne die tatsächliche berufliche Praxis und die wissenschaftliche Evidenz zu kennen. Zu Recht protestieren sie gegen die Verschärfung der Düngeverordnung und wollen eine sachlich begründete, zuverlässige Politik, die Gewässerschutz und Landwirtschaft ermöglicht. Das wäre echte Hilfe.

Fazit:

Die Bundesregierung gibt in zahlreichen Politikfeldern ein klägliches Bild ab. Viele Initiativen versanden durch Inkompetenz oder Streitereien zwischen den einzelnen Bundesministerien. Ziel muss es doch sein, dass Deutschland nach Corona besser dasteht als vor Corona. Die seit langem bekannten Strukturdefizite unseres Landes müssen endlich beseitigt werden. Die FDP-Bundestagsfraktion hat zahlreiche Initiativen in den Deutschen Bundestag eingebracht, um das Land zu erneuern. Das bedeutet: Trendwende in der Wirtschaftspolitik, Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und eine Offensive bei der Digitalisierung, die diesen Namen verdient. Und wir wollen, dass Deutschland auf der internationalen Bühne intensiv um gemeinsame Lösungen wirbt.

Als Mitglied der Programmkommission bin ich bereits aktiv Arbeit an unserem Wahlprogramm für die Bundestagswahl beteiligt. Gerne nehme ich Ihre Anregungen und Vorschläge mit in die Arbeitssitzungen.

Ich wünsche Ihnen trotz bestehender Corona-Beschränkungen einen schönen erholsamen Sommer!

Ihre

Judith Skudelny